Ralf Jaroschinski: Pool Hannover, Oktober 2006 Mit Ariane Funabashi, Jessica Lööf, Andrew Suseno, Michael Veit
Das Stück beginnt mit dem Aufwachen der Protagonisten, die sich auf ihren imaginären Betten räkeln, die Morgenhygiene ausüben, ihre Unterhosen lüften und sich für den Büroalltag fit machen. Danach laufen die Damen und Herren in grauen Anzügen und Kostümen geschäftig quer über die Bühne. Ihre Bewegung wird allmählich hektischer, es kommt zu ungewollten Begegnungen und Zusammenstößen. Anstand und Manier lösen sich auf und die Verwirrung steigert sich zum allgemeinen Chaos. Als Ausweg aus dem Alltagsstress werden dann geistige Aktivitäten "transzendenter" Art vorgestellt, aber auch lust- und körperorientierte Alternativen, die in durcheinander gewürfelten Szenen gespielt und oft im gleichen Atemzug parodiert werden.
Die wichtigste Entspannungsmöglichkeit beschreibt der Häusslebauer Jaroschinski bei seinem Erzählerauftritt: Auf seinem Grundstück hat er einen Swimmingpool eingerichtet, in dem man sich besser entspannt als bei einer professionell begleiteten Meditationsübung - und vor allem preisgünstiger, vergisst der Schwabe nicht hinzuzufügen. Die geweckte Neugier des Zuschauers muss sich jedoch noch lange gedulden. Zunächst wird er mit Kung Fu, Engel und Teufel, einem mythischen Todesbringer als Bestrafer für die Sündigen, einer japanischen Geisha, kampflustigen Vögeln und vielen anderen Verrücktheiten beglückt. Zwischen die Gags gestreut findet in der ersten Hälfte des Stücks auch echter Tanz statt. Insbesondere ein langes Solo von Andrew Suseno hebt sich mit seinem Anspruch von den übrigen Tanzszenen ab. Michael Veit erscheint in einem Duo mit Jessica Lööf (dem einzigen Duo des Stücks), sonst bekommt er aber leider wenig Gelegenheit, sein Können als Tänzer zu beweisen. Das erwähnte Solo von Andrew Suseno ist auch das einzige, das den Fokus voll auf sich zieht. Die übrigen, deutlich kürzeren Einzelperformancen werden von gleichzeitig, wenn auch unabhängig agierenden Tänzern ausgeführt. Das Bewegungsvokabular ist gemischt und reicht von komplexen und unverbrauchten Elementen in den wenigen modernem Tanz verschriebenen Szenen bis zum Revue- und Unterhaltungsstil, der reichlich mit Witz und Parodie gewürzt ist.
Die Isolierung einzelner Tänzer, die fast nur in Szenen mit Schauspielcharakter zueinander finden, fällt im ganzen Stück auf. In dem zu Arvo Pärts Komposition Fratres getanzten Teil erfüllt diese Separation eine wichtige gestalterische Aufgabe. Es handelt sich um eines der wenigen "transzendenten" Themen, die ernst und ohne eine nachgeschobene Parodie verarbeitet werden. Das Musikstück besteht aus Serien von zerlegten Streicherakkorden, die durch lange Pausen getrennt sind, und es trägt eine klare religiöse Botschaft. Ein Teil von Jaroschinskis Choreografie richtet sich sehr genau nach der Partitur, indem der Tanz in den Pausen zum Stillstand kommt und die Bewegung erst mit Beginn der neuen Tonserie wieder ansetzt. Das wäre an sich nicht besonders interessant, Jaroschinski erfand jedoch eine wunderbare Art, Pärts Musik gemäß der Leitidee seines Stücks tänzerisch umzusetzen. Drei Tänzer und damit drei Menschen, die dem Alltag entfliehen wollen, finden ihre Erlösung auf völlig unterschiedliche Weisen. Ob in Transzendenz oder Geistlichkeit bleibt dahin gestellt, sie haben ihren Trost gefunden und ihre Lösungen sind so voneinander entfernt wie Tag und Nacht. Daher müssen die Tänzer isoliert agieren, denn "Transzendenz" kann jeder nur für sich selbst suchen und jeder findet sie anderswo.
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