Katja Erdmann-Rajski: WasserZeichen |
Stuttgart, 3.9.2005![]() Mit "WasserZeichen" zeigte Erdmann-Rajski die gleiche Erfolgsgeschichte wie zuvor mit "Die Kontrabass": Sie hat in Stuttgart ihre Choreografie im Abstand von wenigen Monaten erfolgreich auf zwei verschiedenen Bühnen aufgeführt. Ihr zweiter Erfolg wird dadurch unterstrichen, dass sie ihn mit einem sowohl hinsichtlich der Musik als auch in Hinblick auf den Tanz anspruchsvollen, nicht leicht zugänglichen Stück erzielte. Lediglich die von der Choreografin selbst getanzten Soli glänzen mit einer für sie typischen sylphidischen Eleganz, welche auch die mit Bühnentanz weniger bewanderten Zuschauer sofort anspricht. ![]()
Die Performance findet in einem besonders aufgeteilten Raum statt. Der Zuschauerraum besteht aus zwei voneinander separierten Bereichen. Zwischen ihnen befindet sich die Bühne, die in der Mitte durch eine von der Decke heruntergelassene Plastikplane geteilte wird, so dass jede Zuschauerhälfte nur die ihr zugewandte Bühnenhälfte sieht. Nur bei Szenen, in denen die Körper der Tänzer den halbdurchsichtigen Vorhang von der anderen Seite berühren und damit im Gegenlicht gezeichnete Körperbilder von nach hinten ansteigender Unschärfe erzeugen, nimmt der Zuschauer das Geschehen auf der anderen Seite der Bühne wahr.
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Im ersten Teil der Choreografie tanzen Mark McClain und Juliette Villemin zur Musik für Schlagzeuginstrumente von Klaus Dreher, die der Komponist im Duo mit Anja Füsti selbst spielt. Sein aus dem letzten Jahr stammendes Stück heißt "Blüten, Wogen ins Nichts". Jeder Musiker bespielt auf seiner Seite der Bühne den gleichen Satz von Trommeln und Pauken. Die sonst abstrakte Tanzgeschichte enthält zahlreiche Anspielungen auf verschiedene Arten von Körperbewegungen im Wasser: Neben Fischen, die über die Bühne schwimmen oder sich an der Plastikplane festsaugen, kann man alle Schwimmstile erkennen, die im Wassersport bekannt sind. Im Programmheftchen wird dieser Teil als "Wasser-(Ver)Wandlungen, Im Wasser" bezeichnet.
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Auch der zweite Abschnitt wird von der Performerin eröffnet. Sie tritt in der gleichen Kleidung auf, diesmal aber imposant statt poppig. Sie wacht als Freiheitsstatue über ein Aquarium, aus dem Erdmann-Rajski als aus Wasser geborenes Leben aufersteht (FOTO). Weitere zwei Aquarien sind mit Wasser bzw. Eisstücken im Wasser gefüllt und dienen der Tänzerin als Requisiten, hinter denen sie sich langsam fortbewegt, während sie grazile Körperbilder, scheinbar über dem Wasser schwebend, inszeniert.
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Wie im ersten Abschnitt lassen sich auch in den Figuren von Erdmann-Rajski Wasserbewohner erkennen, diesmal gehören sie der Klasse der Crustaceae an. Besonders leicht erkennt man eine auf dem Panzer liegende Krabbe mit ihren in die Luft ragenden Beinen. Bemerkenswert ist auch die Nachstellung der Bewegung eines Wasserflohs: Blitzschnell wirft Edmann-Rajski ihre Arme schräg nach oben und zieht sie sofort zurück, bis zur nächsten Aktion bewegungslos verharrend. Wer einmal Daphnien im Wassertropfen beobachtete, erkennt die charakteristische Bewegung sofort.
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Eine Oktave mit 192 Tasten Zu ihrem Solo hat sich Erdmann-Rajski mikrotonale Kompositionen von Werner Grimmel ausgesucht, die von Dominik Blum live auf einem speziell gestimmten Klavier der Firma Sauter gespielt werden. Mikrotonale Musik basiert auf der Verwendung von Tonintervallen, die kleiner als ein Halbton sind. Der tschechische Komponist Alois Haba widmete dieser Stilrichtung sein Lebenswerk und gilt als ihr wichtigster Protagonist. Nachdem seine Kompositionen keinen Einzug in die Konzertsäle fanden, wurde mikrotonale Musik in den 80er Jahren totgesagt. Ich erinnere mich an die Aussage eines Landmannes, sinngemäß "Maestro Haba zeigte uns, wohin der Weg nicht führt". (Im Original "Mistr Haba nam ukazal, kudy cesta nevede".) Vereinzelte Versuche zur Wiederbelebung von Mikrotonalität in der zeitgenössischen Komposition fanden kaum Beachtung, obwohl die Verfügbarkeit von elektronischen Instrumenten neue Möglichkeiten zur Überwindung der durch die mikrotonale Stimmung bedingten Einschränkung des Tonbereiches eröffnete. Es ist vielleicht überraschend, dass das Potenzial elektronischer Instrumente in mikrotonaler Musik nie konsequent ausgenutzt wurde und auch der neue Anlauf von Werner Grimmel auf einem klassischen Instrument basiert. Die Aufführung von Grimmels Werken wurde durch die Initiative des Klavierherstellers Sauter ermöglicht, der Instrumente in 1/16-Stimmung baut und Komponisten und Veranstaltern zur Verfügung stellt.Der Abstand zwischen zwei benachbarten Tasten auf dem verwendeten Klavier betrug 1/16 Tonhöhe, der übliche Abstand in der temperierten Stimmung ist bekanntlich ein Halbton. Daraus folgt, dass die Tasten einer Oktave, die normalerweise aus 12 Halbtönen besteht, auf diesem Klavier einen Bereich von weniger als einem Halbton erfassen. Die ganze Tastatur erfasst nur eine Oktave, die sehr fein aufgeteilt ist. Eine Hand kann auf diesem Klavier nur Intervalle kleiner als eine kleine Sekunde überbrücken, alle einhändig gespielten Akkorde werden damit zwangsläufig zu Clustern. Wie kann man bei solcher Einschränkung überhaupt komponieren? Werner Grimmel zeigte einen Weg, indem er in seinen drei Kompositionen die Besonderheiten des Instrumentes ausnutzte. Seine Hauptelemente sind mikrotonale Cluster, bei denen er neben der Tonhöhe und Dynamik insbesondere mit Verdichtungen und Auflockerungen arbeitet, und mikrotonale Verzierungen. Verzierungen sind einen Hauptton einführende Figuren, die um den Hauptton kreisen und mit seinem Anschlag enden. Auf dem temperierten Klavier gespielte Verzierungen sind zum Beispiel von Johann Sebastian Bach bekannt, quasi-mikrotonale Verzierungen kommen in der arabischen und indischen Musik vor. Die auf dem mikrotonalen Klavier gespielten Verzierungen sind jedoch viel enger, sie klingen fast wie Tonwiederholungen im Staccato. Mithilfe von Clustern und Verzierungen komponierte Werner Gimmel Musikstücke ohne Melodie und Harmonie, indem er ab- und aufsteigende Reihen bildete und sie hinsichtlich Dynamik, Tempi und Dichte entwickelte. Nachdem der Zuhörer die Sprache seiner Musik begreift, die zwar ungewöhnlich, aber im Vergleich zu den komplexen Möglichkeiten althergebrachter Kompositionsmittel doch recht einfach ist, lernt er seine Stücke genauso zu genießen wie die sonstige zeitgenössische Musik. Die Kombination von Grimmels Musik mit den Tanzfiguren von Erdmann-Rajski ist sehr gut gelungen, Musik und Tanz sind gleichwertig und unterstützen sich gegenseitig hervorragend. ![]() Erdmann-Rajski vermittelte breitem Publikum neben moderner Choreografie auch zeitgenössische Musik. Diese Leistung ist im heutigen Bühnentanz ungewohnt: Wenn zeitgenössische Klänge überhaupt verwendet werden, handelt es sich um Tanzbegleitungen, die als reine Musikaufnahmen oder für Aufführungen auf Konzerten nicht genug bieten. Erdmann-Rajski zeigte nicht nur, dass sich zeitgenössische Musik und moderner Tanz gegenseitig bereichern, sondern auch wie sie gemeinsam aus ihrer Exklusivnische herauszutreten können. Choreografie: Katja Erdmann-Rajski Bericht: Petr Karlovsky |