Modern Dance Reviews
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Katja Erdmann-Rajski: "Die Kontrabass"

Stuttgart, 17.7.2005


Erdmann-Rajski: Die Kontrabass

"Die Kontrabass" ist eine Bühnenperformance von Katja Erdmann-Rajski für zwei Tänzerinnen und eine Musikerin. Im Januar hatte das Stück Premiere im Theaterhaus Stuttgart, jetzt wird es im Theater Rampe wieder aufgeführt. Der Kontrabass dient als zentrales Tanzrequisit, sein Gewicht und Volumen stehen der Leichtigkeit der Bewegung gegenüber und seine Konturen kommen als Bestandteil raffiniert arrangierter Körperskulpturen zur Geltung.

Mit den Tänzerinnen tritt die in der Jazzszene bekannte Bassistin Karoline Höfler auf. Sie glänzt mit Soli, die auch von einem Konzertauftritt stammen könnten, das Tanzgeschehen ignoriert sie aber ostentativ. Wenn sie nicht gerade die Saiten zupft, zündet sie sich gelangweilt eine Zigarette an, blättert in der Zeitschrift Der Bassist oder legt sich auf die Hülle ihres Instrumentes schlafen. Damit hat die Choreografin eine interessante Lösung für das Problem gefunden, wie sich die Musikerin in den Pausen verhalten soll, denn den Tänzerinnen zuzuschauen wäre unpassend.

Erdmann-Rajski: Die Kontrabass Neben Tanz und Musik steht die große Geige im Mittelpunkt zwei weiterer Ausdrucksformen: Es werden Texte zur Geschichte, Herstellung und Eigenschaften des Kontrabasses vorgelesen und ein Video zum Thema "Kontrabass unterwegs" projiziert. Damit deckt Erdmann-Rajski alle fünf Elemente ab, die eine zeitgenössische Tanzperformance scheinbar vorzuweisen hat, die etwas von sich hält. Die von der Leiterin des Theaters Eva Hosemann neutral bis trocken vorgelesenen Texte passen zwar zum Thema, ihre Integration in die Performance wirkt aber doch etwas mechanisch, denn mit Ausnahme der Abschlussszene wurden sie weder nachgearbeitet noch dem Geschehen auf der Bühne angepasst. Der Zuschauer erfährt unter anderem zum Beispiel, in welchen Farben und Größen Kontrabasshüllen lieferbar sind, dass sie mit einer verstellbaren Rucksackgarnitur versehen sind und pro Stück 460 Euro kosten.

Erdmann-Rajski: Die Kontrabass Im Gegensatz dazu sind die sorgfältig ausgewählten Musikaufnahmen und die auf Unterstreichung der Ästhetik der Körperbilder ausgelegte Beleuchtung wesentlich, durchdacht und mit dem Tanz aufeinander abgestimmt. In der Eröffnungsszene wird stilreine Minimalmusik gespielt, die der Tänzerin eine für ihr langsames Solo benötigte Rhythmusfreiheit gibt. Die Musik klingt elektronisch, vermutlich handelt es sich jedoch um nachbearbeitete Kontrabassspuren von Stefano Scodanibbio, die der Komponist im Stil von Terry Riley arrangierte. Scodanibbios Musik wird auch zu dem einzigen längeren Tanzduo (siehe Titelfoto) gespielt. Hier handelt es sich um die letzte Komposition aus seinem Album "Voyage That Never Ends" aus dem Jahr 1998, in der der Komponist seinem Instrument eine ungeahnte Vielfalt an Klangfarben entlockt. In den durch indische Ragas inspirierten Passagen täuscht er Sarangi und Sitar so meisterhaft vor, dass jemand, der das Album nicht kennt, nicht glauben würde, dass die ganze Musik von einem Kontrabass kommt.

Erdmann-Rajski: Die Kontrabass Fast alle Tanzpassagen sind Soli von Erdmann-Rajski selbst oder von Juliette Villemin. Im ersten Teil der Performance bildet Erdmann-Rajski in langsamen Bewegungen aus dem eigenen Körper und dem des Kontrabasses Skulpturen hoher ästhetischer Qualität, die durch die Projektion horizontaler, wolkenähnlicher Lichtmuster ausgeleuchtet werden (siehe zweites und drittes Foto oben). Körperbilder sind ein Qualitätsmerkmal der Choreografin und mit ein Grund für die Popularität ihrer Aufführungen. "Mich interessiert am Tanz das Bildhafte", sagte sie einmal. Juliette Villemin ist eine im klassischen Ballett ausgebildete Tänzerin und ehemalige Solistin des Wiesbadener Staatstheaters, die in Choreografien von Erdmann-Rajski regelmäßig auftritt. Im Gegensatz zu Erdmann-Rajski tanzt Villemin in diesem Stück nur wenige langsame Passagen und diese folgen auch nicht der Ästhetik der eleganten Linien (mit einer auf dem Foto festgehaltenen Ausnahme). Vielmehr sorgt sie für einen erfrischenden Kontrapunkt, indem sie mit schnellen und energiegeladenen Soli den Zuschauer überrascht und aus seiner gemütlichen Genüsslichkeit weckt.

Erdmann-Rajski: Die Kontrabass Im zweiten Teil stellt Erdmann-Rajski den Kontrabass selbst dar. Zunächst lässt sie ihren Körper erstarren, wobei ihre Arme - einen entlang der Körperachse über dem Kopf gestreckt, der zweite vor dem Körper nach unten gerichtet - den Hals des Instrumentes mit seinen Saiten imitieren. Villemin hebt "die Kontrabass" vom Boden und bespielt sie entlang des Griffbretts vom Bauch bis zum Gesicht (Foto rechts). Auf eine zweite Art verkörpert Erdmann-Rajski den Kontrabass, nachdem Villemin sie in eine Hülle verpackt und auf den Boden legt. Das Instrument lebt, streckt seinen Hals nach hinten und klappt wieder zusammen. Angela Reinhardt umschrieb die Kreation in der Stuttgarter Zeitung mit einem kleinen Disney-Dinosaurier, der seine Mama sucht, mich erinnerte sein "Kopf" an den außerirdischen E.T. (siehe Fotos unten). Zum Abschluss der Choreografie wird ein zuvor vorgelesener Satz aus der technischen Beschreibung des Kontrabasses verkürzt und echoartig wiederholt, bis nur noch "Der Kontrabass ist das Größte" zu vernehmen ist.

Die Tatsache, dass die Choreografie ein halbes Jahr nach der Premiere in Stuttgart wieder aufgeführt wird, bezeugt ihr einen im Bereich des moderenen Bühnentanzes ungewöhnlichen Publikumserfolg. Zu den Gründen dafür zählt vermutlich insbesondere der Einfallsreichtum der Choreografin bei der Verbindung neuer Gestaltungselemente mit traditioneller Ästhetik und die "Bildhaftigkeit" des Tanzes von Erdmann-Rajski selbst.


Konzeption/Choreographie/Regie: Katja Erdmann-Rajski
Lichtgestaltung/Künstlerische Beratung/Raumgestaltung: Doris Schopf
Tanz: Juliette Villemin, Katja Erdmann-Rajski
Live-Musik/Performance: Karoline Höfler
Video/Ton: Maciej Walczak
Stimme: Eva Hosemann
Musik: Karoline Höfler, Dave Holland, Charles Mingus, Orchestre de Contrebasses, Stefano Scodanibbio

Erdmann-Rajski: Die Kontrabass

Gesehen: 17.7.2005
Bericht: Petr Karlovsky